„Wir sind dran“Freiburger Podiumsdiskussion der DGVN zur UN-Agenda 2030 Bild: Hans-Christoph Graf Sponeck, Elise Zerrath, Ekkehard Griep, Ernst Ulrich von Weizsäcker, Peter Kolbe (DGVN) Über 120 interessierte Bürgerinnen und Bürger waren am 9. Mai 2019 Zeuge einer spannenden Podiumsdiskussion. Zur Veranstaltung hatte der Landesverband Baden-Württemberg der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen in Zusammenarbeit mit dem Colloquium politicum und der Landeszentrale für politische Bildung Freiburg in die Albert-Ludwigs-Universität eingeladen. Die hochkarätig besetzte Podiumsrunde setzte sich aus Prof. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker (MdB 1998-2005, ehemaliger Ko-Direktor Club of Rome 2012-2018), Dr. h.c. Hans-Christof Graf Sponeck (UN-Diplomat 1968-2000) und Frau Elise Zerrath (UN-Mitarbeiterin Genf) zusammen. Moderiert wurde die Diskussion von Dr. Ekkehard Griep, stellvertretender Bundesvorsitzender der DGVN und selbst einige Jahre tätig für die UN in New York. Nachhaltige Entwicklung, Menschenrechte, Klimaschutz, Frieden – Ist die Agenda 2030 der Vereinten Nationen zu ambitioniert? Die im Jahr 2015 von den Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen beschlossenen 17 „Nachhaltigen Entwicklungsziele" (Sustainable Development Goals, SDGs) fordern von allen UN-Mitgliedsländern für den Zeitraum bis 2030 erhebliche Anstrengungen, u.a. bei der weltweiten Beseitigung von Armut und Hunger, beim Aufbau einer widerstandsfähigen Infrastruktur, beim Erhalt der Artenvielfalt und beim Klimaschutz. Zu diesen Fragen äußerten sich die Gäste u.a. mit folgenden Aussagen. Elise Zerrath hob zunächst hervor, dass die Entstehungsgeschichte der UN-Agenda 2030 selbst ein großer Erfolg war, da über einen langen Zeitraum nicht nur Politiker, sondern auch Nichtregierungsorganisationen und die Zivilgesellschaft sich aktiv einbringen konnten in die Formulierung der Ziele und alle zusammen sich schließlich einigen konnten. Leider sei die Agenda noch nicht in das Bewusstsein aller Politiker und Menschen wirklich vorgedrungen, auch sieht sie das Problem, dass selbst innerhalb des UN-Systems manche Ziele noch nicht erreicht sind wie z.B. Geschlechtergerechtigkeit. Dennoch ist Frau Zerrath optimistisch, vor allem wegen des sich gerade jetzt durch die ‚Fridays for Future‘-Bewegung zeigende Potenzial der Jugend. Junge Menschen zeigten, dass sie sich die Agenda zu Herzen nehmen und auf die Erreichung aller Ziele drängten. Wir alle könnten etwas tun, insbesondere beim Thema Nachhaltige Produktion und Konsum. Hans-Christof von Sponeck, ehemaliger Beigeordneter Generalsekretär der UN, ist skeptischer. „Nicht ein einziges Ziel wird erreicht, manche werden vielleicht teilweise erreicht.“ Er begründete seine Meinung damit, dass das geopolitische Umfeld (Prozess des Niedergangs des Westens, Recht der Macht statt Macht des Rechts, Armutsgefälle) derzeit größere Erfolge der Agenda ebenso verhindere wie auch das Dilemma, dass es einen Widerspruch innerhalb der 17 Ziele gebe. Dieser Widerspruch betreffe das Thema Menschliche Entwicklung contra Umweltschutz. So erwähne der Human Development Report zum Beispiel nicht die ökologischen Probleme, und das Pariser Klimaabkommen von 2015 gehe kaum auf die sozialen Probleme ein. Problematisch sieht Sponeck auch das Thema im Hinblick auf Korruption, selbst die UNO werde politisch missbraucht in Bezug auf Artikel 100 und 101 der Uno-Charta. Die Rechenschaftsverpflichtung innerhalb der UNO müsse wieder für alle gelten, so von Sponeck. Und weiter: „Wir brauchen Handwerker, nicht nur Mundwerker“. Wir alle seien aufgerufen, nicht nur privat Ernst zu machen, sondern auch Druck auf die Regierungen auszuüben, damit diese wiederum in der UNO die Erreichung der Ziele voranbringen. Auch Ernst Ulrich von Weizsäcker ist skeptisch. Selbst wenn die ersten 11 Ziele der Agenda 2030, (sämtlich sozioökonomische Ziele) erreicht werden sollten, wären die ökologischen Ziele 13-15 unerreichbar mit unserer derzeitigen Wirtschaftsweise. Er empfiehlt das Nachhaltigkeitsziel 17 „Partnerschaft“ auch zwischen den einzelnen Zielen anzuwenden. Herr Weizsäcker gebraucht in diesem Zusammenhang die Begriffe „Leere Welt“ und „Volle Welt“. Bis etwa 1915 konnte die Menschheit aus dem Vollen der Natur schöpfen. Danach wurde die Ressourcennutzung immer größer als theoretisch jedem Menschen zustehen würde. Der ökologische Fußabdruck im Westen ist heute so hoch, dass wir zwei bis fünf Erden bräuchten, wenn alle Länder unsere Art der ressourcenintensiven Wirtschaft nachmachen würden. Er gab zusätzlich zu bedenken, dass sich nur in bevölkerungstechnisch sich stabilisierten Ländern ein Wohlstand für alle entwickeln könne. Positive Beispiel seien der Iran und China - auch wenn dort und in anderen Regionen der Welt ein gravierendes Problem hinsichtlich des Klimawandels bestehe, da dort gegenwärtig mehr als 1.300 neue Kohlekraftwerke im Bau seien. Herr Weizsäcker ist aber dennoch optimistisch, wenn sich die willigen Länder zusammentun und sich gegenseitig unterstützen. Positiv hob er in diesem Zusammenhang die Fördermöglichkeiten hervor, die innerhalb der Europäischen Union bestehen. Der Bundesregierung rät er, mit zwei Ländern außerhalb der EU hinsichtlich der gemeinsamen Rechte am Ausstoß von Treibhausemissionen zusammenzuarbeiten und somit ein positives Beispiel zu geben. Der WBGU (Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für Globale Umweltfragen) habe schon vor vielen Jahren den Low Budget Ansatz ins Spiel gebracht, leider sei er auf der Klimakonferenz in Kopenhagen 2009 nicht von allen Ländern gewollt worden. ‚Wir sind dran‘ (Come on!), so der mehrdeutige Titel des 2017 u.a. von Ernst Ulrich von Weizsäcker herausgegebenen Bericht des Club of Rome. Text und Foto: Andreas Winterhalder (9.05.2019)
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